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Etappe 10: Cogolo - Breguzzo

Adamello-Presanella: Cogolo (1160m) -> mit dem Skibus nach Tonale (1940m) -> mit dem Lift zum Passo Presena (2980m) -> Passo Maroccaro (2975m) -> Rifugio Lobbia Alta (3020m) -> Abfahrt und Fußmarsch ins Val die Fumo (1400m) -> mit dem taxi nach Breguzzo (850m)

Gehzeit: 11 h Hoehenprofil
Mittagspause: 1 h
Höhenmeter im Aufstieg: 750 m
Höhenmeter als Skiabfahrt: 1500 m
Download GPS-Daten: gps-data
Download kml-Datei: kml-file
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Das tolle Frühstücksbuffet ist italienisch und im Handumdrehen um die Hälfte ärmer geworden.
Gerade noch Zeit für ein paar Fotos vor dem Hotel und schon stehen wir an der Ski-Bushaltestelle. Ein paar verlorene Skitouristen mit osteuropäischen Akzent gesellen sich mit uns in die Warteposition und nachdem der Bus pünktlich erschienen ist, in den Bus. Der tuckert vor nach  Fucine. Dort werden wir abgesetzt denn in „cinque minuti“ kommt hier der Anschlussskibus hoch nach Tonale.

Mittlerweile beobachten wir das schlechte Wetter, wie es von Norden her reinzieht und die oberen Gipfel einhüllt. Es wird wohl wieder ungemütlich werden heute, aber noch sind wir weit unten im geschützten Tal.
Es kommt ein kleines ungepflegtes Männlein vorbei, zeigt halbes Interesse an uns, wo wir denn hinwollten, achso mit dem Skibus hoch nach Tonale, so so, schaut in den Mülleimer der Haltestelle, und verschwindet. Ja selbst hier streunen Penner rum.
Es kommt ein Bus von unten den Ort hochgefahren, hält an, Tür auf, Leute raus und wir gefragt, doch wir hören nur „cinque minuti“. Also weiter warten. So kommen und gehen 3 Busse von unten aus dem Ort. Dreimal „cinque minuti“ und wir werden immer ungeduldiger – immerhin wissen wir dass wir heute eine große Etappe vor uns haben, auch wenn uns die Bahnen vom Skigebiet in Tonale ein Paar Höhenmeter abnehmen sollen.
Es kommt ein Bus von oben aus dem Ort, er hält an, Tür auf – keiner rein oder raus, wir fragen nicht, denn unser Bus muss ja von unten kommen. So fährt er wieder. Wir warten. Ein Blick auf die Uhr zeigt dass mittlerweile acht „cinque minuti“ vergangen sind, seit unserer Ankunft. Wie doof wir eigentlich sind, dämmert uns als plötzlich wieder das kleine ungepflegte Männlein auftaucht, und uns irgendwie dabei hilft Gewissheit zu erlangen, dass der Skibus nach Tonale bereits weg ist. Wie weg! Das heißt der letzte Bus von oben, ja genau das wäre unser Bus gewesen. Oh Mann! das darf nicht wahr sein. Jeden Busfahrer der von unten kommt fragen wir, nur den einen der von oben (also vermeintlich aus Richtung Tonale) kommt, den fragen wir nicht.
Der Penner deutet noch neben das Haus bei der Tankstelle und dem dort angebrachten Taxi-Schild.
Stolz, Wut und wilde Entschlossenheit zwingen uns an den Straßenrand und den Daumen in die Höhe. Unlust, Vollbesetztheit und Angst (beim Anblick von uns zwei unrasierten ausgemergelten Wilden) verleitet wohl alle passierende Autofahrer zum Gasgeben. Unsere Geduld beim Trampen ist erheblich geringer, als die beim auf den Bus warten. Unser Zeit rinnt uns förmlich dahin.
Dieses blöde Taxischild am Haus neben der Tanke... Ok, ich geh hin, was soll es, wir gehen nur einmal über die Alpen.
Ich klingele. Nach einer kleine Ewigkeit öffnet eine ältere, kleine, verknitterte, aber energisch dreinblickende Italienerin.
„Funfunswanssig euro“ antwortet sie auf meine Frage nach dem Taxi nach Tonale. Wie gesagt, wir gehen nur einmal über die Alpen. Also Paul und unser Sachen geholt. Die Alte macht die Garage auf und aus dem Seiteneingang des Hauses kommt der Taxifahrer. Mir stockt der Atem: es ist der kleine, ungepflegte Penner! Das darf nicht wahr sein! Haben wir uns heute Morgen doch gewaltig lumpen lassen. Aber jetzt hilft es nichts mehr und wir müssen ja fast schon wieder über die Dreistigkeit der Alten lachen (die den Penner fest im Griff hat, ihm noch Müll zu Entsorgung und eine Einkaufsliste mitgibt...) als sie uns ins Gesicht sagt: „normalo sinn aschtunswanssig euro, fur ssie funfunswanssig – iss gute breisss“.
Der Penner gurkt uns die Kurven nach Tonale hoch, unterhält sich mit sich selbst (!) inklusive Handgesten und Lippenbewegungen – nur keine lautes, echt gesprochenes Wort kommt über seine Lippen. Bin ich froh, als ich aus diesem Taxi raus bin – ziemlich schräg und dämonenhaft. Es kann nur besser werden.

Paul organisiert die Gondel- und Liftkarten und schon stehen wir in der „Bierfassl-Gondel“. Acht Leute haben halb stehend, halb sitzend Platz in so einem Teil. Der Ausblick über das verunstaltete Tonale-Skigebiert ist in meinen Augen schrecklich. Mit dem sichern Gefühl eines geldhungrigen Industriemagnaten, wurde hier vermutlich den ehemaligen Bergbauern das Land „entwendet“, Finanzinvestoren ein Goldrausch vorgegaukelt und mit deren Geld so viele „wie geht“ Sessellifte in den Hang genagelt. Dort wo bei uns am Brauneck am Streidl-Hang ein Schlepper steht, gibt’s hier einen Vierer-Sessel. Danke Silvio, mit dir wird die Welt besser, nur wir fühlen uns da nicht wohler!
Gerne lasse ich diesen Anblick hinter mir, ja fast nostalgisch anmutend und an meine vielen Skitage in meiner Kindheit in Ratschings erinnert steigen wir in einen uralten „Doppelmayr“-2er-Sessellift, der uns im Schneckentempo aber dafür ordentlich durchgefroren auf den höchsten Punkt befördert.
Dort fragen wir den Lift-Burschi im oberen Häusel, welcher der zwei in Nebel und Schneeverwehung fast unsichtbaren Jöchern, der Überstieg Richtung Lobbia Alta Hütte ist. Wir queren heikel ohne Höhe auf- oder abzubauen Richtung Westen, finden dort tolle Wegweiser, können den Weg nach unten aber nur erahnen. Aber dieser sieht nicht katastrophal aus. Wir rutschen die Scharte nach Süden runter. Weiter unten sogar ein paar Schwünge. Schlechte Sicht und Harsch prägen unseren Fahrstil. Wir orientieren kurz mit Karte und Kompass. Da unten ist der See, na ja und kurz danach geht’s runter und dann quer rüber auf den Gletscher. Also mit möglichst wenig Höhenverlust runter zum See. Nur bei dieser Sicht nicht zu dicht ans Ufer kommen. Die Eisdecke sieht am Rand aufgerissen aus, wie eine mit einem Swisstool geöffnete Konservendose.
Am hinteren Ende des Sees trauen wir unseren Augen nicht. Plötzlich beginnt vor uns eine Reihe von in den Schnee gesteckten Haselnussstecken; alle 10-20m einer. Was für ein Luxus. Frage ist nur wohin dieser Weg „ausgesteckelt“ ist? Egal, die grobe Richtung stimmt. Wir kontrollieren grob mit Karte und Kompass und machen uns auf den Weg. Wir versuchen möglichst wenig Höhe zu verlieren um auf den Gletscher Richtung Lobbia Alta Hütte zu gelangen.
Der Schnee ist hart, die Sicht mittel. Außer uns ist niemand unterwegs. Plötzlich biegt der Haselsteckenweg nach links (O) ab. Wir sehen etwas unterhalb von uns die Mandrone Hütte – ahh, da geht also der Weg hin. Wir verlassen also den toll abgesteckten Weg und queren nach rechts. Langsam gewinnen wir wieder an Höhe und merken dass wir wohl auf die untersten Gletscherzungen auflaufen. Es schneit und windet und plötzlich läuft von links wieder die Haselsteckenmarkierung auf unseren Weg zur Lobbia Alta Hütte zu. Wir werden wieder verwöhnt, was die Orientierung angeht. Das Wetter allerdings ist grauenhaft. So ackern wir uns mittlerweile im Neuschnee spurend immer höher. Schließlich verlässt die Markierung den Hauptgletscher und steigt steiler bergan nach links. Oberhalb thront die Hütte wie ein Adlerhorst. Kurz nach dem Gletscherabzweig spüren wir wieder die Höhe. Wir schnaufen wie ein Chevy-V12 nur in den Spitzkehren quietschen nicht die Reifen sondern die Kniescheiben.

Unsere Laune ist eigentlich nicht schlecht. Aber etwas einsam sind wir heute unterwegs. Dieser Eindruck verstärkt sich noch, als wir als einzige erkennbare Gäste im riesigen, neuen Gastraum der Hütte sitzen. Dieser ist gerade erst eingeheizt worden. Wir bleiben dicht bei den beiden Öfen sitzen, haben schnell Pasta bestellt und ordentlich Cola zum trinken. An der Wand hängt eine Karte die weiter nach Süden reicht, als die die wir dabei haben. Wir prägen uns das südliche Val di Fumo mit seinen Stauseen ein. Die Pasta ist gleich verdrückt und wir drücken auf die Zeit. Dem Hüttenwirt ringen wir mit spärlichen Italienisch noch ein paar Infos ab.
Scheinbar ist auch der Weiterweg noch mit Haselstecken markiert. Allerdings werden wir selbständig den Süd-Abzweig vom Weg rein ins Val di Fumo bestimmen müssen, denn die Markierung führt weiter in einem großen Bogen zum Biwak G. LAENG und Biwak BEGEY. Dies wird nicht leicht werden, zumal wohl der Gletscher als sehr schwach ausgeprägter Passübergang in der Karte markiert ist und somit kaum wahrnehmbar sein wird.
Wir werden uns auf GPS, Kompass und Höhenmesser verlassen müssen. Kaum sind wir draußen empfängt uns leichter Sturm und katastrophale Sicht.
Wen es jetzt langweilt, aber wir hangeln uns die Haselstecken entlang. Wir frieren schon wieder und alle Zusatzbewegungen werden auf ein Minimum reduziert.
Immer wieder kontrolliere ich die grobe Richtung mit dem Kompass, denn wir müssen ziemlich exakt nach Süden. Uns drückt schon wieder der späte Nachmittag und wir schieben sauber an. Unser Kurs weicht leicht nach SSO ab. Kurz beratschlagt. Ok, wir gehen noch ein Stück die Stecken entlang. Schemenhaft können wir ein paar Felskonturen rechts oberhalb von uns sehen. Müssen wir jetzt weiter links ausweichen. Wir verlieren an Höhe und unser Kurs ist jetzt nach Osten gerichtet. Eigentlich wissen wir jetzt, dass wir schon falsch laufen, aber es ist unglaublich was man sich alles zurechtdichtet um das schwach gesehene mit den zur Verfügung stehenden Messinstrumenten abzugleichen.
Vor uns ein Joch auf das die Steckerl hinlaufen. Die Sollhöhe weit unterschritten – wir haben Gewissheit dass wir kurz vor einem der Biwaks stehen. Wir müssen umdrehen, trauen es uns aber nicht zu, einen direkten Abschneider auf den anzupeilenden Abstiegspunkt ins Val di Fumo anzugehen. Also zurück entlang der Steckerl, nach Zeit und GPS-Punkten.
Gemeinsam legen wir nach ca. 30min Rückweg den Punkt für den Abzweig nach Süden fest. Unglaublich, wie schwer es fällt so eine vermeintlich Sicherheit gebende Haselnusssteckenreihe zu verlassen. Kaum haben wir uns auf unseren 160 Grad-Kurs begeben, geht es mir besser. Wir haben eine klare Entscheidung getroffen und wir folgen dem Kompass.
Kurz darauf treffen wir wieder eine Haselnusssteckenreihe – das gibt’s doch nicht, auch diese liegt genau auf unserem Kurs. Paul voraus, ich ca. 10m hintendran und jede Minute den Kurs kontrollierend. Jeweils zur fünften Minute holt Paul das GPS zur exakten Bestimmung von Kurs und Höhe raus. Es sieht gut aus. So jetzt brauchen wir „nur“ noch den echten Süd-Abzeig auf Kurs 180°. Das Gelände fällt leicht nach rechts (S). Hier entschließen wir uns zum Kurswechsel um 20° nach Süd – weg von der Steckenreihe. Das Gelände fällt plötzlich steiler ab. Zuversicht kommt in uns auf. Dies wird jetzt der Abstieg in das Val di Fumo sein. Wir wissen, dass wir auf der Suche nach einem als Sommerweg in der Karte eingetragenen Weg sind! Rechts von uns müsste dieser laut unserer Karte, sofern wir richtig sind, von Felsen begrenzt sein. Also ziehen wir ständig leicht Höhe abbauend nach rechts. Aus dem Nebel tauchen tatsächlich Felsen auf. Unendliches Selbstbewusstsein in unsere Navigationskünste lässt uns ja fast den Sturm, den Nebel und die Scheißkälte vergessen. Unsere Vorsicht bleibt bei uns. Wir lassen die Felle an den Skiern und gleiten wieder in die andere Richtung, leicht Höhe abbauend nach unten. Jetzt heißt es einen sauberen Abstieg zu finden. Mittlerweile ist es ca. 16:00 Uhr, wir sind immer noch auf 2800m und wir haben keine Talsicht. Es wird steiler. Neuschnee von ca. 20-30cm liegt auf hartem aber einigermaßen griffigem Altschnee. Wieder ein paar Meter weiter runter, wir kreuzen links und rechts.
Unter uns zeichnen sich dunkle Schatten auf der gesamten Breite ab, und ein paar Meter weiter unten wird uns klar das dies ein fetter Felsriegel ist, den wir nur fliegend bei tollem Wetter überwinden könnten. Ein Gefühl wie ohne Führerschein in eine Polizeikontrolle zu geraten, muss wohl ähnlich sein. Diese rasant aufsteigende Gewissheit, dass man vor sich an eine fremd gesetzte Grenze gerät, der man beim ersten Hinsehen nicht ausweichen kann.
Einen kurzen Moment beraten wir. Nach links scheint es zumindest auf gleicher Höhe weiterzugehen. Wir stapfen vorsichtig nach links, immer wieder leicht wegrutschend. Auf dem harten Altschneegrund kein Spaß, speziell im Wissen um die Felsabbrüche unter uns... . Ich erspähe ein Schneeband, welches im spitzen Winkel wieder nach rechts führen würde, allerdings im Nebel unsichtbar zwischen den Felsen verschwindend.
Paul behauptet vehement das geradeaus weiter noch eine Rinne kommt. Als wie wenn er dreimal pro Woche hier 10-er Gruppen durchführt. Mein Bauch sagt mir, ihm voll zu vertrauen. Wir ackern also weiter, immer mal wieder auf Felsen kratzend. Zehn Minuten später und ein paar Höhenmeter tiefer taucht diese Rinne tatsächlich auf. Steil. Ja sogar ganz schön steil. Aber eine Rinne. Ob sie bis in den Talboden ohne Felsabbruch reicht sehen wir nicht. Wir können im Nebel ca. 50m nach oben und unten sauber beurteilen. Schnee liegt nicht viel drin – ist ja auch sehr steil... . Einzugsgebiet von oben: unbekannt. Dies buchen wir also auf die Minus-Seite; es muss also schnell gehen, wer weiß was von oben runterrauscht.
Da das mögliche Entkommen in den Talboden noch nicht absehbar ist, lassen wir die Felle immer noch auf den Skiern. Jetzt rutschen wir wirklich nur noch senkrecht nach unten – ein kreuzen ist kaum möglich. Kaum hundert Höhenmeter weiter unten sind wir unter den Wolken, und wir können es kaum glauben, denn wir sehen die Fortsetzung der Schneerinne bis runter in den Talboden – ohne jeglichen Felsen in unserem Weg. Jetzt zählt nur noch aus dieser schwer einschätzbaren Rinne möglichst schnell rauszukommen. Felle runter, in die Jacke gesteckt und in Stemmbogerl oder Umsteigetechnik flott nach unten geackert.
17:00 Uhr. Wir sind im Talboden auf 2500m angekommen, blicken zurück in „unsere“ Rinne. Kopfschüttelnd und am Rücken fröstelnd sehen wir links und rechts davon die Felsabbrüche, in die wir bei jeder, aber wirklich jeder anderen Wegentscheidung hineingeraten wären.
Ok. Ein paar Gewissheiten tun sich vor uns auf. Die akute Gefahr ist vorbei. Das Tal vor uns ist genau nach Süden gerichtet, müsste demnach das Val di Fumo sein. Wir haben bis zum ersten Stausee noch 700HM und ca. 10km zurückzulegen. Dort werden wir wohl im Dunkeln ankommen.
Soweit die Fakten. Jetzt die Hoffnungen: laut Karte ist am Stausee ein „Ristorante“ und eine „Bar“ eingetragen. Dort gibt’s was zu trinken, zu essen und ein Telefon mit dem wir ein Taxi rufen – egal was es kostet. Guter Plan.
Wir queren im Talboden auf die rechte Bachseite, freuen uns über den harten Harsch der uns gut trägt und gut gleiten lässt.
Paul drückt mir fast zuviel. Ich bremse ein, denn das wir in’s Dunkle kommen ist ja jetzt eh schon klar. Wichtig ist jetzt bei Kräften zu bleiben. Wir machen kurze Pause. Trinken einen Schluck warmen Tee und würgen eines dieser koffeinhaltigen Powergels rein. Komisch, sonst sind diese Dinger wirklich wiederlich – aber jetzt schmeckt es ja fast lecker. Muss wohl an unserem ausgemergelten Zusatnd liegen.
Doppelstock und Skaterschritt treiben uns weiter. Plötzlich ein Wegweiser, der uns eindeutig bestätigt dass wir im Val di Fumo sind – erst jetzt haben wir echte Gewissheit. Fast kommt Heimspielfeeling auf, obwohl wir beide zum ersten Mal hier sind.
Nur ganz nebenbei erwähnt: den ganzen Tag über sind uns ab dem Skigebiet in Tonale und dem Hüttenwirt der Lobbia Alta Hütte keine weiteren Leute begegnet! Es könnte auch in Grönland sein.
Wir schieben fleißig weiter, und das Gefälle ist so sauber für uns angelegt, dass wir wirklich relativ wenig Kraft brauchen um den langen Weg bis zum Stausee Malga Boazzo zurückzulegen. Wir passieren kurz vorher noch links liegend eine Hütte. Die wäre unsere Notbiwak-Stelle gewesen. Wir sehen die Staumauer und den leeren Stausee. Am hinteren Ende des Sees angekommen, fellen wir auf, um die Straße entlang des Sees bequem entlang ziehen zu können. Die Straße entlang des Sees auf 1800m hat genug Schnee. Immer wieder unterbrochen von kleinen aperen Stellen oder Lawinenkegeln, die überkraxelt werden sein wollen.
Auf einem dieser Lawinenkegel bleibe ich im Halbdunkel mit der Skispitze in einem gefrorenen Schneeklumpen hängen, verliere das Gleichgewicht und stürze nach links eine 1m hohe Schneewand runter auf den harten Fahrweg – knapp neben dem Steilabbruch, der in den „trockenen“ See hinunterzeigt. Ich falle so glücklich gedämpft und abgerollt auf Rucksack und Schulter, dass mir gar nichts fehlt oder weh tut. Allerdings bin ich mit Ski und Stecken so mikadomässig verdreht, dass Paul mich befreien muß (natürlich nachdem er Fotos gemacht hatte...).
Ok. Es geht etwas umsichtiger weiter. Jetzt geht es auch nicht mehr ohne Stirnlampen. Es schneit leicht und die Flocken tänzeln und glitzern in unseren Scheinwerferkegeln.
Wir können deutlich die Lichterkette der Staumauerbeleuchtung erkennen. Noch zehn Minuten und wir sind dort. Auch ein Haus neben der Staumauer mit Licht hinter den Fenstern taucht auf. Dort angekommen müssen wir allerdings feststellen, dass die Fahrstraße von mindestens noch 30cm Schnee bedeckt ist, und der Staumauerwärter wohl über die weithin sichtbare Seilbahn transportiert und versorgt wird. Das ist ein Tiefschlag. Aber die Straße sieht ehrlich gesagt gut fahrbar aus. Also Felle runter, den letzten Tee getrunken und die Schokolade aufgeteilt. Dann lassen wir es die Straße runter laufen. Macht ja fast Spaß. Unterbrochen von dem einen oder anderen Lawinenkegel geht es in durchaus flotter und konstanter Fahrt bestimmt so an die vier Kilometer weiter runter. Auf ca. 1400m ist dann Schluss. Kein Schnee mehr. Verglichen mit der Schneelage im Stubai- oder Ötztal ist das sowieso enorm, wie weit wir hier herunter kommen.
Eine Straße mit Teer, ist jetzt und heute ja fast schon „heimelig“. Außerhalb unserer Kartenabdeckung befinden wir uns, nur wissend dass noch ein Stausee kommen muss. Da kann ja wohl kein Schnee mehr sein. Dann gibt’s da auch ein Taxi für uns.
Also Ski auf den Buckel geschnallt und lustig talwärts geschlendert. Hierbei wird mir wieder einmal klar, dass Paul pro Schritt bestimmt 20cm mehr Strecke macht. Ich muss wirklich bis „Anschlag“ grätschen, aber das Vorwärtskommen ist es wert.
Es kommt der Stausee. Lichter. Aber nur beleuchtete Transformatorenanlagen – kein Haus. Noch ein Tunnel. Unsere Schritte hallen und unsere Stecken klackern. Hinter dem Tunnel taucht ein Haus auf, mit beleuchteten Fenstern. Wir sind vorsichtig optimistisch. Vor dem Haus steht ein Auto. Etwas mehr Optimismus kommt auf.
Eine Tür im Gitterzaun mit Klingel.
Rucksäcke runter, Stecken an den Zaun gelehnt. Ja fast rituelle Züge hat das Drücken des Klingeknopfes.
Im Fenster neben der Haustür springt Licht an und das Fenster im Erdgeschoss wird geöffnet. Ein junger Kerl steht da, nicht wissend dass er unser ganz großer Freund des heutigen Tages werden wird!
Die Verständigung hakt. Wir mit unseren 20 Vokabeln Italienisch und ebenso viele beim Gegenüber in Englisch, macht zusammen so ca. 40 Wörter, die wenn man sie ca. 10 Minuten quer durch die Luft wirft, uns Einlass ins E-Werk verschaffen.
Drinnen versuchen wir den netten E-Werk-Wächter davon zu überzeugen uns ein Taxi zu rufen (nachdem er vehement ablehnen musste uns mit seinem ENEL-Transporter zu fahren...). Er sieht aber ein finanzielles Desaster auf uns zukommen und versucht uns vom Gegenteil zu überzeugen. Wir einigen uns auf neutralen Boden, sprich ein Telefonbuch soll er mal ranschaffen. Da finden wir den Ort, wo wir heute noch hinwollen – Breguzzo. Der junge Mann schüttelt nur den Kopf und wir finden die Nummer vom ortsansässigen Taxiunternehmen.
Jetzt ist er wieder dran. Bitte, bitte dort anrufen und das Taxi hierher lotsen. Ein für uns scheinbar unendliches Telefonat auf italienisch folgt, untermalt von wilden Gesten des E-Werkwärters. Er legt auf. Nach ein paar verrenkten Wörtern erkennen wir, dass es wohl 45min dauern soll bis das Taxi kommt. Kein Problem. Wir sortieren unsere Sachen, ziehen uns um und rufen kurz daheim an. Vom Wärter bekommen wir eine Tasse Kaffee und Minestrone würde er uns auch machen, was wir aber dankend ablehnen. Wir halten uns lieber im Korridor auf, denn speziell unsere Socken und Schuhe haben das Zeug, dieses E-Werk hier für immer unbewohnbar zu machen.
Gefühlsmäßig hat’s keine dreiviertel Stunde gedauert, als das Taxi vorfährt. Wir verstauen alles im VW Passat und es kommt echter Genuss auf, die Kilometer einfach so ohne jede Anstrengung abspulen zu können.
Ein ziemlich langer Tag neigt sich dem Ende zu. Heute haben wir 48km zu Fuß gemacht und waren hierzu von 8:00 bis 22:30 Uhr unterwegs.
Wir kommen in Breguzzo an, und finden im Hotel Trento ein Zimmer. Aber oh Schreck, der Koch hat schon Feierabend, und der in der Pizzeria neben dran wohl auch schon. So, Paul, jetzt weißt Du warum ich am Abend vorher, ganz intuitiv die zwei Vinschgerln gekauft habe. Kombiniert mit den zwei Scheiben Käse vom heutigen Frühstücksbuffet gibt dies ein fulminantes Abendessen, runtergespült mit dem letzten Bier, welches uns der Barkeeper kurz vor „Schicht-im-Schacht“ zapft.

Autor: Wolfgang Leistner weiter zur nächsten Etappe >>


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Etappe 1: Eschenlohe - Garmisch
Etappe 2: Garmisch - Kühtai
Etappe 3: Kühtai - Winne- bachseehütte
Etappe 4: Winnebach- seehütte - Sölden
Etappe 5: Sölden - Vernagt-Hütte
Etappe 6: Vernagt-Hütte - Hochjoch Hospiz
Etappe 7: Hochjoch Hospiz - Similaunhütte
Etappe 8: Similaunhütte - Zufallhütte
Etappe 9: Zufallhütte - Cogolo
Etappe 10: Cogolo - Breguzzo
Etappe 11: Breguzzo - Garda