Wir merken erst am überaus gesunden Appetit beim Frühstück wie anstrengend die gestrige Etappe wirklich war. Hektik lassen wir deswegen trotzdem nicht aufkommen – draußen glänzt die Sonne im Schnee.
Der Abschied von den Österreichern, dem Berliner und vom Hüttenwirt und Susi ist herzlich und wir machen uns ans spuren rauf Richtung Gaislehnscharte.
Nach dem schlechten Wetter der letzten Tage sind wir von der Grandiosität der Berglandschaft in diesem Winkel wirklich begeistert. Unsere Abfahrtsspuren vom Tag (Abend) vorher weit auf der anderen Seite liegend, ein paar Gämsen die oberhalb von uns queren, und dann die erste harmlose Gletscherberührung kurz vor der Scharte. Im Anstieg zur Gaislehnscharte holt uns wieder Schattenkälte ein und wir packen uns noch auf der Sonnenseite etwas dicker ein.
Dann geht’s zur Sache. Der Anstieg zur Scharte ist mit einem Stahlseil gesichert welches zur Zeit tief im verharschten Schnee Winterschlaf hält. Ich beginne zu spuren, Stufen zu schlagen und nebenbei das Seil aus dem Harsch rauszurupfen. Mühsam. Immer wieder regnen Harschbrocken auf Julia und Réka denen Paul hilft die Ski auf den Buckel zu schnallen, hinab.
Kurz darauf folgt mir Réka. Sie kann gut aufschließen und Paul geht hinter Julia um ihr an den kniffligen Stellen zwischen Fels, Seil und Harsch zu vermitteln. Nach 45 Minuten Ächzen und richtig Ackern stehen wir alle vor einer Traumkulisse. Jeweils einen Meter vor oder hinter uns geht es steil bergab. Klar wir wollen vor uns bergab und dort wartet ein schneebedeckter Hang, schöner als der Übergang von Hüfte zu Popo von Orlando Bloom (gell Julia J ). Wir haben nur Bedenken wegen der direkten Falllinie und queren ein Stück nach rechts und der Rest ist wie im Liegestuhl liegen und Longdrink in der Hand, nur mit zwei Brettern unter den Füssen. Ok, ich gebe zu, dieses Bild ist weit hergeholt, aber wer will kann mir folgen....
Folgen sollen wir auch der natürlichen Falllinie zur Amberger Hütte. Denn die steile Rinne direkt im Osten der Hütte ist der klassische wie auch anspruchsvolle Winterabstieg zur Hütte. Oben als Einstieg ein kleines Betonwehr welches mahnend über der Rinne thront. Danach geht es steil, eng und steiler bergab. Wir werden uns alle ganz rechts an den etwas sonnigeren Seiten halten – links ist zum Teil Schnee eingeweht. Wir fahren einzeln, bis der/die erste unten wieder ganz seitlich rausgefahren ist. Die Verhältnisse sind uns wirklich wohl gesonnen. Von totalem Genuss kann nicht die Rede sein, aber durch so ein Kanonenrohr abzufahren, ohne auch nur einmal ein schlechtes Gefühl zu haben ist schon was wert. Zwei Minuten später sitzen wir „piz buin“ auf der Südterrasse der Amberger Hütte, bestellen unser wohlverdientes Mittagessen und sinnieren der zweiten Tageshälfte entgegen.
Schnell ein paar SMS gecheckt, denn hier hat man Kontakt zur Zivilisation und genüsslich die Spaghetti mit Salat eingefahren.
Hier könnten wir auch sitzen bleiben, in der gleißenden Sonne, auf der warmen Terrasse und guter Verpflegung. Aber nein, wir wollen ja noch weiter bis Sölden und dies über den Wütenkarsattel der ein nettes Stück über 3000m liegt.
Also nicht lange rumhocken, sondern die schweren Rucksäcke gepackt, den ganzen Skitourengehern die heimkommen entgegen rudern und sich auf einen deftigen 1000HM-Anstieg einstellen. Paul ist fit als hätte er Mittagschlaf auf dem „Runner’s“-Magazin gehalten. Ich erhalte von ihm klare Anweisung Julia Gewicht aus dem Rucksack abzunehmen. Er selber nimmt Réka etwas ab. Wir stehen vor einer großen Teiletappe und wollen alles daran setzen über den Wütenkarsattel zu kommen und von oben auf Sölden runter zu fahren.
Wir merken dass die Mädels etwas nachlassen – alles kein Problem. Wir Jungs gehen voraus, in unserem Tempo. Etwas später machen wir „Aufholpause“, um abschätzen zu können, wie viel die Mädels hinter uns herlaufen. Damit bekommen wir ein Gefühl für die Wahrscheinlichkeit, ob wir unter gegebenen Umständen das Joch noch rechtzeitig erreichen. Was ist rechtzeitig? Wir geben uns 16:00 Uhr als Zeitlimit. Wir brauchen ausreichend Reserve für die Querung zur Hochstubaihütte und den unbekannten Abfahrtsweg zur Kleblealm. Ab dort wäre ein (aperer!?) Fahrweg den wir auch mit Tragen der Ski bei Stirnlampenlicht schaffen müssten.
Sind wir also bis zum Zeitlimit nicht oben, drehen wir um. Mittlerweile holen uns auch die Schatten der seitlichen Gipfel ein. Sofort wird es wieder ungemütlich kalt.
Wir alle merken die Anstrengung. Ich spure extra abweichend von der „Tagesspur“ eine flachere unserer Leistung und den schweren Rucksäcken angepassten Aufstiegsspur.
Um 16:00 Uhr sind wir ca. 250HM unter dem Jochübergang. Wir diskutieren kurz – wie hart ist ein selbstgesetztes Zeitlimit? Die Antwort wird uns abgenommen als Réka ihren Skischuh mit dem ultraleichten originalen Kohla EVO-lightning Skistock vom Schnee freiklopfen will. Klack – und der untere Teil des Stockes ist abgebrochen. Wir stehen fassungslos vor diesem technischen Malheur. Leichter ist nicht immer besser. Wir fühlen uns nicht besser, aber wir haben wenigstens etwas gefunden an dem wir etwas unser Wut auslassen können, dass wir diese Etappe nicht auf dem regulären Weg beenden werden können.
Gerne wären wir über den Wütenkarsattel hoch über Sölden abgefahren. Abgesehen von dem gigantischen Panorama auf die Ötztaler, wäre es speziell auch noch für Paul und mich eine Befriedigung gewesen, im perfekt richtigen Tal nach Sölden abzusteigen.
Also umdrehen und via Amberger Hütte nach Gries abfahren. Wir genießen wenigstens den uns großzügigerweise zur Verfügung gestellten Pulver, und versuchen aus dem ganzen eine Pow-Pic-Session zu machen.
Wir können tatsächlich per eingefahrener Rodelbahn bis in den Ort Gries abfahren. Dort organisieren wir uns ein Taxi, welches uns zusammen mit noch 3 anderen Tourengehern nach Sölden bringt. Das Taxi biegt um die letzte Häuserecke und aus dem Mund von Réka und Julia kommt unisono: „Sauna – Dampfbad…“, die Wandanschrift unserer Pension „Maria-Theresia“. Scheinbar ist der Relaxbedarf doch entsprechend hoch. Tolle Zimmer hat uns Roland (die gute Seele der Pension neben Commander Ehefrau) besorgt. Julia verschwindet in der Badewanne, Paul und Réka im Dampfbad und ich in der Sauna – alles optimal ausgenutzt. Danach geht’s in den Sölden-Rummel zum Essen. Ein unglaublicher Kontrast wenn man abends zuvor auf der urgemütlichen, mit freundlichen Menschen besetzten Winnebachseehütte war, und dann heute in Super-Fake-Sölden aufschlägt. Klein-Las-Vegas lässt grüßen. Alle mit Geld willkommen – so werden auch wir bedient. Zur Ehrenrettung: Essen und Getränke gut und nicht abgeklatscht. Über den Preis reden wir nicht…
Natürlich hocken wir noch im Restaurant über den Karten für die morgige Etappe, im Hinterkopf den Wetterbericht, der einziehende Verschlechterung meldet. Ja, wenn die spät käme, dann hätten wir eine Chance unsere geplante Gondel-Gletscher-400HM-Pausetag-Etappe durchzuziehen.
Egal, jetzt genießen wir erstmal unseren Erfolg, dass wir das Stubai durchquert haben.
In der Nacht wird wieder unruhig geschlafen. Nicht wegen der bevorstehenden aufregenden Etappen, sondern wegen den grölend heimkehrenden „Ski-Touristen“ die durch unser offenes Fenster hereinschallen.
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