Nach großem Frühstück begeben wir uns mit unseren schweren Rucksäcken in diffuses Waschküchenlicht und ackern uns durch teilweise tiefen Schnee auf den windabgewandten Seiten oder durch überzuckertes Geröll auf den Windzugewandten.
Es setzt leichter Schneefall ein. Die Sicht ist bescheiden und ich finde keine tolle Linie beim Spuren. Meine Oberschenkel pfeifen und ich schnaufe heute wie auf meiner ersten Skitour diesen Winter.
Langsam tasten wir uns Richtung Guslarscharte (S). Ca. 250 HM unter der Spitze begutachten wir den tollen Leehang im Anstieg zur Scharte. Schnell ist dieser unser gemeinsamer Feind. Da also nicht durch. Mein Vorschlag über eine andersgerichtete Mulde auf den Grant zu steigen, von dort zum Gipfel zu gehen und die Lage für Abfahrt auf der anderen Seite zu beurteilen, gewinnt keine Gruppenmehrheit.
Selbst die Tatsache, dass wir hierdurch unseren ersten Gipfel auf dieser Tour praktisch im vorbeigehen bekämen, kann niemand mehr einen HM nach oben bewegen.
Wir greifen auf den gestern Abend ausgearbeiteten Plan B zurück. Runter auf Höhenlinie 2600 und dieser um den Guslarstock folgend herum auf die Südseite und dort zum Hospiz abfahren.
Zwischen dem relativ schönen Schnee schlummern immer wieder fette Steine die nach den Skibelägen greifen wie Katzenpfoten nach den Goldfischen im Glas. Die Umfahrung auf 2600 wird unangenehm. Der Schnee sehr wenig, immer mal ein paar Meter aufsteigen – dies bei Temperaturen um die 0°C, wir dampfen schnell. Das wir heute kaum frieren drängt sich momentan nicht als Vorteil in mein Bewusstsein. Dann stehen wir auch noch vor einem bei dieser Sicht schlecht einschätzbaren großen und steilen Hang.
Wir erschaffen den Plan B2, der uns laut Karte ermöglicht direkt unter uns abzufahren bis wir auf Höhe 2400m auf den Normaltalanstieg zum Hospiz kommen. Dies klappt ganz gut und wir plagen uns auf dem südseitigen Anstieg durch Rinnen und Mulden die auch schon mal mehr Schnee gesehen haben. Ich bin heute so platt, dass mich sogar das bisschen Pappschnee nervt, der sich oben am Ski sammelt. Réka stöhnt auch. Nur Julia und Paul, ja die könnten heute bis nach Riva gehen, hat es den Anschein.
Als schließlich das Hochjochhospiz rechts oben am Hang auftaucht und beständig größer wird, sieht dies für mich ganz klar wie ein heutiges Etappenziel aus. Wir müssten ja noch weiter bis zur Similaunhütte – dies bei der relativ schlechten Sicht über den Gletscher. Für mich ist heute mein absolut schwächster Tag. Réka ist auch für bleiben und als klar ist, dass einer der Küchenmannschaft fast aussieht wie Orlando Bloom ist auch Julia für das Brechen unseres Etappenplans. So bleiben wir ab Mittag bereits auf dem Hospiz, lassen uns von Susi (der Chefin der netten und tüchtigen slowakischen Küchenmannschaft) verwöhnen, erholen uns so gut, dass wir nachmittags mit leichtem Rucksack sogar noch 300HM hinter der Hütte aufsteigen um ein bisschen zu powdern.
Jetzt haben wir schon die zweite Hüttengehilfin die Susi heißt und wir spekulieren, ob die nicht alle so heißen, ja oder ob vielleicht die Funktion die sie ausüben einfach „Susi“ heißt.
Mit uns sind immerhin noch zwei weitere Bergsteiger auf der Hütte. Ein Österreicher mit Sohn, die entnervt von der langen flachen Abfahrt über den Kesselwand-Gletscher Hütte ankommen. Auch denen war die Sicht oben auf dem Gletscher zu heikel.
So verbringen wir unseren Erholungstag mit Service rund um die Technik. Ich flicke meine Sonnenbrille die gewaltsam ihre Bügel abgeworfen hatte mit Tape und einem Tanka-Bändel als Befestigung. Und Julias Felle werden auch noch mal inspiziert, aber den Kleber den sie auf der Vernagthütte zusätzlich bekommen haben scheint seinen Dienst zu tun. Nicht mehr zu retten ist allerdings der Icebreaker-Pulli von Julia welcher am Ofenrohr ein Handteller-großes Schmorloch kassiert hat (Dank Merino-Wolle steht die Hütte noch, denn mit Kunstfaser wäre die Stube wohl abgefackelt…).
Beim telefonischen Verlegen unserer Folge-Hüttenreservierungen schöpfen wir neue Hoffnung. Je südlicher wir kommen, umso besser soll das Wetter sein. Das sind Nachrichten die wir brauchen – da spielt es sich am Abend gleich richtig gemütlich Kniffel. Holunderskiwasser und Kaiserschmarrn tun ihren Teil zum Heben der Stimmung. Similaun – wir kommen!
Abends klart es tatsächlich auf. Ich gehe mit dem Gefühl des Erstbesteigers kurz vor dem Gipfelsturm ins Schlaflager.
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